Do 15 Sep
12:30
ZPF Ingenieure, Basel
Die Holz-Lehm-Decke und HORTUS
Konstruktiver Ungehorsam: die Holz-Lehm-Decke und HORTUS.
Ein Bürogebäude, das sich in 30 Jahren energetisch amortisiert, geht das? Wir lassen Zahlen sprechen, aktuell bei einem Büroneubau bei Basel. Das HORTUS – House of Research, Technology, Utopia and Sustainability – zahlt seine graue Energie aus Erstellung und Rückbau in einer Generation zurück und ist bereits nach 30 Jahren energiepositiv. Und wenn HORTUS nach vielen Jahren der Nutzung nicht mehr gebraucht wird, werden seine Teile kompostiert oder wiederverwendet.
Für diese ungewöhnliche Aufgabe schienen uns die gängigen Wege nur bedingt zielführend. Also hinterfragten wir zunächst den Planungsprozesses an sich: Was passiert, wenn wir nicht das Tragwerk auf Grundlage des Architekturentwurfs, sondern die Architektur basierend auf dem optimalen Tragwerk entwickeln? Wenn das Gebäude also in einem inversen Prozess vom Material über die Konstruktion zur Architektur entsteht?
Dazu haben wir unterschiedliche Standard-Decken- und Tragsysteme sowie Stützenraster nach Gesichtspunkten wie ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit sowie Nutzungstauglichkeit verglichen[1]. Der Vergleich zeigt, dass nicht nur das Material, sondern vor allem die Konstruktion über die Nachhaltigkeit entscheidet. Kurz: Je einfacher die Konstruktion, desto nachhaltiger können wir das Material wählen. Herausgekommen ist ein Deckensystem, bei dem wir Holz und Lehm gezielt nach ihren Stärken so einsetzen, dass sie heutigen Ansprüchen an Komfort und Ästhetik genügen. Der Feuerwiderstand REI60 für das Deckensystem ist bereits bestätigt, nun laufen Versuche für die automatisierte Herstellung unter Einsatz von Robotern. Und parallel entwickeln wir mit Unternehmen Produktionsweisen, da es bislang keine standardisierte automatisierte Verarbeitung von Lehm gibt.
Material
Die primäre Tragstruktur besteht aus Vollholz Fichte/Tanne und – wo grosse Kräfte auftreten – aus Stabschichtholz Buche. Um möglichst unverleimtes Vollholz einsetzen zu können, berücksichtigen wir marktübliche Querschnitte. Und für Formstabilität und Querkrafttragfähigkeit beschränken wir uns auf markfreie Querschnitte wo immer möglich. Anstelle des Buchen-Stabschichtholzes waren zunächst verzahnte Buchenbalken vorgesehen, was aber wegen des Materialverhaltens nicht realisierbar und zudem teuer ist. Die Beplankung der Deckenoberseite ist aus Dreischichtplatten, nachdem wir diagonalverlegte Holzbretter verwerfen mussten. Den Lehm stampfen wir materialgerecht, also zugspannungsfrei als Gewölbe zwischen den Holzträgern ein. Er wirkt brandschützend für die Holzteile und durch seine Masse schwingungs- und trittschallhemmend. Lehm reguliert Feuchte, neutralisiert Gerüche und wirkt antiseptisch. An der Deckenunterseite bietet er eine einfach aktivierbare thermische Masse zur Wärmespeicherung – perfekt für ein angenehmes Raumklima. Von der Baustellenfabrikation haben wir uns mittlerweile verabschiedet – aus ökologischen und kostentechnischen Gründen.
Konstruktion
Wir haben die Holz-Lehm-Decke mit wiederlösbaren Steck- oder Schraubverbindungen im Full Circle Design entwickelt. Der naturbelassene Lehm und die unbehandelten Vollholzbalken werden nach dem Ausbau einfach in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt oder recycelt. Die metallischen Verbindungsmittel werden vollständig recycelt, die restlichen Holzelemente werden zu Holzwerkstoffen recycelt oder thermisch genutzt.
Haus
Das Tragsystem von HORTUS ist ein flexibler, effizienter Skelettbau mit innenliegenden Fachwerken zur Aussteifung. Der Gebäudeentwurf von Herzog & de Meuron basiert auf dem Trag- und dem Deckensystem sowie dem optimierten Stützenraster. Planerteam und Investor untersuchen gemeinsam verschiedene bauliche Optionen, um im Spannungsfeld von Kosten- und Nutzungsoptimierung und weiteren Aspekten Lösungen zu finden, durch die HORTUS einen neuen Standard für Nachhaltigkeit setzt.
1 Vgl. ZPF Ingenieure (2021): Deckensysteme im Vergleich, in Themenfokus «Hortus», → Hochparterre
Nico Ros
Nico Ros (*1978) absolvierte eine Lehre als Zimmermann und anschliessend mit Auszeichnungen das Studium des Bauingenieurwesens an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Muttenz. Ein weiterer akademischer Abschluss erfolgte 2007 nach dem Ökonomiestudium an der Universität Fribourg, Schweiz, mit dem Diplom in Management und einer Diplomarbeit mit Schwerpunkt in VWL.
Als Bauingenieur ist er seit 2003 bei ZPF Ingenieure angestellt, seit 2009 ist er Miteigentümer und gehört der Geschäftsleitung an. Unter anderem ist er zuständig für Akquisition, Tragwerksentwurf und Ökologie. Von 2009 bis 2019 war Nico Ros Dozent für Tragkonstruktion am Institut Architektur der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.
Remo Thalmann
Remo Thalmann (*1988) absolvierte eine Lehre als Bauzeichner und anschliessend die Berufsmatur. Sein Studium des Bauingenieurwesens an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW schloss er 2016 mit dem Mastertitel ab. Parallel zum Studium war er am Institut für Bau der FHNW als Wissenschaftlicher Mitarbeiter Geotechnik tätig.
Als Bauingenieur ist Remo Thalmann seit 2017 bei ZPF Ingenieure angestellt. Neben seinem Knowhow in Sachen Ökologie und Ökobilanzierung bearbeitet er Wettbewerbe und laufende Projekte, darunter das Projekt Hortus in Allschwil, mit dem ein neuer Standard für Nachhaltigkeit gesetzt wird. Ausserdem engagiert er sich aktiv beim Verein Countdown2030, der zum Umdenken und Neugestalten beim Bauen aufruft.