Do 15 Sep

14:30

Ruth Morrow, Newcastle University

Material Foundations

Miss Fabrication und Materialverschwendung

Diese Zusammenfassung ist eine Antwort auf die Herausforderung von #ConstructiveDisobedience, insbesondere auf das Ziel „konstruktives Experimentieren aus dem Kern der Profession heraus zu ermöglichen“. Es tut dies, indem es sich auf die Erfahrungen und Überlegungen einer 17-jährigen designgeleiteten, feministisch informierten, forschungsbasierten und materiellen Praxis stützt, die sowohl aus Erfolgen als auch aus Misserfolgen gelernt hat [Morrow, 2017]. Die Praxis ist eine Kombination aus Erfahrungen in der Materialforschung, von denen einige patentiert und vermarktet wurden; während manche gemeinsam mit Universitätsstudierenden entwickelt wurden, wurden andere von Forschungsgesellschaften finanziert unter Beteiligung sowohl von mehreren als auch von unterschiedlichen Disziplinen und Berufen. Letztendlich bewegen sich die in diesem Papier vorgestellten Taktiken und Teilargumente in Richtung eines grundlegenderen und forschenden Verständnisses von Materialien in der gebauten Umwelt, sowohl in chemischer als auch in biologischer Hinsicht und  in Bezug auf Materialbeschaffenheit, Anwendung, ästhetisch-ethische Werte und Herstellungspraktiken. Das positioniert den/die Architekt*in/Designer*in automatisch in einem sehr frühen Stadium eines – zwangsläufig – kollaborativen und multidisziplinären Prozess der Materialentwicklung. Das hier präsentierte Bild ist noch unvollständig, aber die Absicht des Papiers ist es, Teile des Puzzles zu teilen, damit wir gemeinsam und direkt, nicht als ein Berufsstand, sondern als eine Industrie, auf Klima- und Ressourcennotstände reagieren können.

Der Beitrag stützt sich insbesondere auf die Erfahrungen zweier Projekte aus dieser Materialpraxis. Beide weisen Parallelen, Anklänge und Kontraste zueinander auf. Beide befassen sich zudem mit sehr unterschiedlichen, aber wirkungsvollen Abfallströmen als Materialquellen in Bezug auf gegenwärtige und potenziell zukünftige klimabezogene Probleme. Das erste Projekt beginnt mit einem der bedeutendsten und am schwersten zu bewältigenden Abfallstrom der Menschheit: Plastik. Das Projekt #Trans-plastics verwendet innovative Mischungen aus recycelten Kunststoffen und organischen Abfällen und wendet diese Materialien auf ein allgegenwärtiges, relativ kostengünstiges Polymerherstellungsverfahren (Rotationsguss) an, um ineinandergreifende „kreislauforientierte“ Bausteine herzustellen [Morrow et al. 2021]. Das zweite Projekt beginnt interessanterweise mit einem nicht-menschlichen Abfallstrom, der mikrobiellen Zellulose, die in einem natürlichen, wenn auch vergrößerten Prozess abgesondert wird. Dieses Projekt, mikrobielle Zelluloseschindel, ist Teil eines multidisziplinären Forschungszentrums für Biotechnologien für die gebaute Umwelt und versucht, die potenziellen Anwendungen dieser neuen mikrobiellen Materialquelle zu verstehen. Es ist biologisch abbaubar und biokompatibel und kann an jedem Ort ohne Auswirkungen auf bestehende Lebensmittel- und Materialströme erzeugt werden. Der Beitrag stellt eine ehrliche und kritische Untersuchung dieser Materialtechnologien dar und zeigt die Herausforderungen, die ungelösten Probleme und vor allem die kulturellen Veränderungen auf, die für diese Formen der Materialentwicklung erforderlich sind. Veränderungen, die die derzeitigen Konventionen und Kulturen in den Industrien und Berufen der gebauten Umwelt auf den Prüfstand und in Frage stellen.

Morrow, Ruth. 2017. “Material Witchery: Tactility Factory as a Site of Emerging Ethical Practice.” In Feminist Futures of Spatial Practice: Materialisms, Activisms, Dialogues, Pedagogies, Projections, edited by Meike Schalk, Thérèse Kristiansson, and Ramia Mazé, 75–90. Baunach: AADR - Art Architecture Design Research.

Morrow, Ruth, Peter Martin, and Chantelle Niblock, eds. 2021. Expanding the Upcycling Paradigm: ‘A Case Study in the Creative Use of Waste Streams and Waste Plastic in Interlocking Blocks’. 4th PLATE 2021 Virtual Conference Limerick, Ireland – 26–28 May 2021.

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Ruth Morrow

Ruth Morrow ist Professorin für Biologische Architektur. Ihre Forschung ist weitgehend praxisorientiert und umfasst sowohl das Materielle, das Soziale als auch das Ökologische. Sie wird von einem inklusiven, feministischen Ethos geleitet und nutzt Taktiken der Kreativität, Zusammenarbeit und Reflexion. Sie verfügt über umfassende Erfahrung in der Entwicklung von Material­ideen vom Konzept bis zur Vermarktung, was zu inter­nationalen Förder­mitteln, Design­preisen, Ausstellungen und Zitaten führte. Derzeit ist sie Co-Leiterin einer neuen interdisziplinären akademischen Initiative, School X, an der Universität Newcastle, wo sie im Zentrum für Biotechnologie in der gebauten Umwelt das Forschungsthema „Responsible Interactions“ (Verant­wortungs­volle Interaktionen) mit leitet.