Fr 16 Sep
09:50
Oekofacta, Winterthur
Offener Dialog als Chance zur Innovation
Bereits bei den ersten Tischbesprechungen mit der Bauschaft spreche ich über Werte, ihre Bedürfnisse und ihr Verständnis von Lebensqualität. Es ist mir wichtig, schon bei den ersten Begegnungen mit den Bauwilligen die Emotionen für eine bessere Welt und für einen zu wecken oder zumindest die Diskussion anregen. Zur heutigen Ausrüstung als praktizierende Architektin wird es immer wichtiger zur ersten Sitzung nebst den Normen und technischen Kenntnisse auch das Interesse an alltäglichen Dingen, an dem Leben selbst und für das „Hinterfragen“ mitzubringen.
Vertrauen und Sympathien sind die Basis, auf Grund derer in den nächsten folgenden 12 bis 15 Monaten die wichtigsten Entscheidungen gemeinsam getroffen werden. Die ersten Besprechungen dauern meistens sehr lang, damit die Bauschaft sich ungehindert äußern kann. Gehört zu werden ist wichtig für alle, aber in dem Moment, in dem Aufgabenstellung entsteht, ist es vor allem für die Bauschaft am wichtigsten „gehört zu werden“. Da zu Beginn die Aufgabenstellung und das Raumprogramm seitens Bauwilligen noch meist unklar oder vage formuliert ist, äußere ich schon die wichtigsten Ansätze und Argumente, bringe die Referenzen und zeige meine vorherigen Projekte.
Zusätzlich wichtig ist mir, immer offen, klar und ehrlich zu kommunizieren, was ich kann und was ich noch nicht kann und gerne lernen und ausprobieren möchte. Was mich als Planerin, anzieht und was ich nicht begreife ist ebenso sehr wichtig mitzuteilen, hier transparent zu sein. Die Bauschaft wird so zu den ersten vertraulichen „Komplizen“, zum wichtigsten Partner beim Bauvorhaben. So werden wir zu einem Team, das gemeinsam den Weg geht und wenn es notwendig ist auch gemeinsam gegen die Baunormen verstoßen kann. Erst danach wird mit den Ingenieur*innen oder je nach dem schon direkt mit den Handwerker*innen die Machbarkeit abgeklärt, abgelehnt oder bestätigt.
Dialog und Austausch sind für das Verhältnis von Innovation vs. Normen sehr wichtig. In einer Team- und Fachplaner*innenbesprechung ist die eigene Verantwortung enorm spürbar. Somit kann im kollektiven Gespräch ein unkonventioneller, eventuell besserer, Vorschlag angenommen oder abgelehnt werden. Dabei ist es mir wichtig zu erwähnen, dass die Handwerker*innen in der Gesellschaft einen großen Stellenwert genießen, zumindest in der deutschen Schweiz. Von ihnen wird es geschätzt, wenn man zugänglich, offen und ehrlich kommuniziert und flache Hierarchien pflegt. Auch für die Abklärungen bei den öffentlichen Diensten ist es hilfreich, lieber zuerst ein kurzes Telefonat zu führen, als eine hochoffizielle, lange Email zu schicken. Offener Dialog mit erfahrenen Partnern und mit Institutionen ist meiner Erfahrung nach innovativer als einfach Normen umzusetzen.
Saikal Zhunushova
6 Jahre abstraktes Architektur Studium an der Staatlichen Uni in Kirgistan. Dann ein paar Jahre Berufserfahrung als Zeichnerin, Modellbauerin, Graphikdesignerin in Kirgistan und im benachbarten Kasachstan. Aufgewachsen bin ich in einem intakten Dorf. Die Mehrheit der Dorfgemeinschaft waren deutschstämmige Russen. Es war eine gesunde und soziale Dorf-Community, wo jeder jedem geholfen hat, vor allem die unmittelbare Nachbarschaft hat aufeinander sehr gut geschaut. Jede Familie war Selbstversorger. Wir bewegten uns im Dorf ausschliesslich mit den Velos und als Fremdsprache in der Schule gab es damals nur Deutsch zur Auswahl. Meine Mutter ist mit 3 kleinen Kindern, mit 32 verwitwet, hatte die Stelle als Lehrerin in der Schule bekommen. Sie hat uns alleine erzogen.
Mit 27 Jahren kam ich in die Schweiz um endlich eine praxisnahe Architektur Ausbildung an einer Fachhochschule zu erlernen. Das Studium schloss ich 2012 mit einem Master ab und machte dann in verschiedenen schweizerischen Architekturbüros mit Müh und Not die ersten realen Berufserfahrungen bis ich mich schliesslich 2017 mit dem ersten eigenen Umbauprojekt selbständig machte.