Do 15 Sep

11:10

Boltshauser Architekten, Zürich

Vorgespannter Lehm Ofenturm Ziegelei-Museum Cham

Der Ofenturm ist das erste vorgespannte Lehmgebäude der Welt – ein gebautes Experiment und damit nachhaltiger, konstruktiver Ungehorsam.

Ungehorsame Lehmarchitektur

Dessen Baumaterial Stampflehm hat auch in der Schweiz eine lange Bautradition, die in ganz Mitteleuropa fast vergessen ging. Da die Ressource Lehm in Form von Aushub vielerorts lokal verfügbar ist und bei dieser Art der Verarbeitung nicht gebrannt wird, verfügt das Material über viele nachhaltige Eigenschaften und birgt durch die fehlende Entwicklung des letzten Jahrhunderts ein architektonisches Potenzial. Um diese vielseitigen Möglichkeiten der ungenutzten Ressource in der zeitgenössischen Architektur ankommen zu lassen, sind unkonventionelle Wege notwendig. Boltshauser Architekten haben den Mehrwert früh erkannt. In den letzten zwanzig Jahren entstanden Lehmbauten wie zum Beispiel das Haus Rauch in Schlins, die Gerätehäuser Sihlhölzli oder der Schulpavillon Allenmoos in Zürich.

Ungehorsame Lehre

Überzeugt von der aufschlussreichen Arbeit im Architekturbüro Boltshauser wurde der Baustoff von Roger Boltshauser in der Lehre an der EPFL Lausanne, der TU München und der ETH Zürich wiederkehrender Bestandteil. Mit den Studierenden ging es unter anderem darum, wie Lehm schnell und direkt in die heutige Bauindustrie integriert werden kann und wie derzeitige Grenzen des Materials neu ausgelotet werden können. Parallel entwickelt sich, von konstruktiven Innovationen angetrieben, ein eigener architektonischer Ausdruck.

Ungehorsame Konstruktion

Ein Entwurf der EPFL Lausanne führte zu der ungewöhnlichen Idee, den vergleichsweise weichen Stampflehm ähnlich dem Beton vorzuspannen. Das Mock-up des Entwurfsprojekts eines Lager- und Ausstellungsgebäudes im Sitterwerk St. Gallen mündete in einem ersten Feldversuch. Die freistehende Stampflehmwand wurde über angezogene Gewindestangen (Vorspannung) mit dem Fundament verbunden und so gegen Horizontal- beziehungsweise Erdebenkräfte gesichert. Die Erfahrung, Dokumentation und wissenschaftliche Begleitung dieses Feldversuchs trug das Studio Boltshauser mit in die Entwurfsaufgabe an der TU München. Dort wurde die doppelgeschossige Museumserweiterung, der Ofenturm für das Ziegelei-Museum Cham, von den Studierenden Regina Pötzinger und Robert Gentner entworfen.

Ungehorsame Projektorganisation

Nach dem Bau des Mock-ups in St. Gallen sollten die Erkenntnisse in den Bau eines Gebäudes resultieren. Dazu wurde die Vorspannungstechnik auf eine Höhe von ungefähr 8 Metern verdoppelt und weiterentwickelt. Das Vorspannungssystem bestand neu aus Stahlseilen und Tellerfedern, um eventuelle Setzungen des Materials Lehm besser aufnehmen zu können, ohne nachspannen zu müssen. Um die neue Bauweise zu einem Gebäude werden zu lassen, brauchte es grosse Motivation und Überzeugungskraft, nicht nur bei lokalen Behörden, sondern auch bei Sponsoren und unterstützenden Unternehmen. Kritiker/innen mussten überzeugt, Baugesetze gehorsam befolgt und das Projekt ungehorsam gestartet werden. Dies geschah mittels der Gründung eines gemeinnützigen Vereins, der die Finanzierung sicherte, sowie mit Hilfe von Studierenden verschiedener Hochschulen, welche die Lehmelemente im Rahmen eines Workshops stampften. Darüber hinaus gründete die LEHMAG AG ein Unternehmen, um den Ofenturm als Startpunkt für mehr nachhaltiges Bauen mit Aushubmaterial zu nutzen.

Viele weiteren Entwicklungen in der Planung und Umsetzung sowie die zielorientierte Integration von ausführenden Unternehmen führten zum entstandenen Ofenturm aus Stampflehm, Lehmsteinen (Terrabloc), Beton, Stahl, Holz und Muranoglas. Durch diese Zusammenarbeit steht der Ofenturm für einen Versuch, die Bauindustrie und Architektur zu hinterfragen: Ein sehr direktes Gebäude, dem man die Ungehorsamkeit im langen Prozess ansieht.

Boltshauser Foto

Seitenfront, © Kuster Frey 

Boltshauser Drawing2

Sprengaxonometrie,
© Boltshauser Architekten AG

Felix Hilgert

hat Bauingenieurwissenschaften an der ETH Zürich studiert und seine Masterarbeit zum Thema „Excavation material as the new building resource for Zurich“ verfasst. Seit 2017 ist Hilgert Mitarbeiter bei Boltshauser Architekten AG, Zürich und seit Herbst 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gastdozentur Roger Boltshauser an der ETH Zürich. 2019 gründete Felix Hilgert zusammen mit Lukas Baumann die LEHMAG AG, ein Bauunternehmen für nachhaltiges Bauen mit Aushubmaterial Lehm.

Er vertritt Roger Boltshauser

hat 1996 Boltshauser Architekten AG gegründet und lehrt nach mehreren Lehraufträgen in der Schweiz und Deutschland, seit September 2018 als Gastdozent an der ETH Zürich.