Do 15 Sep

18:00

Aaron Forrest, Ultramoderne
Yasmin Vobis, Harvard GSD

Sticks and Stones and an Atlas of Heterogenous Constructions

Seit dem Aufkommen der Moderne und dem Aufstieg von Beton und Stahl als vorherrschende Materialien im Bauwesen hat sich ein merkwürdiger Zustand innerhalb der architektonischen Materialdiskurse herausgebildet, die fast alle einheitlich versuchen, bestimmte einzelne Materialien unter Ausschluss anderer zu definieren, zu feiern und zu befürworten. Doch die materielle Heterogenität architektonischer Strukturen ist in den Baukulturen der Welt tief verwurzelt und hat erst mit dem parallelen Aufstieg des industrialisierten Bauens, das sich auf die präzise Kalkulierbarkeit des Verhaltens von Stahl, Beton und industriell verarbeitetem Holz verlässt, abgenommen. 

„Sticks and Stones“ ist ein Gemeinschaftsprojekt zweier Architekt*innen und eines Bauingenieurs, das die Heterogenität von Materialien sowohl als historische Bedingung als auch als Impulsgeber für die Erforschung zeitgenössischer Entwürfe untersucht. Das Projekt geht von der These aus, dass Gebäude heterogene Ansammlungen verschiedener Materialien sind, die von wirtschaftlichen, sozialen und regulatorischen Kräften von außen beeinflusst werden, und versucht diese Beziehungen unter technischen, ökologischen, sozialen und ästhetischen Gesichtspunkten sowohl sichtbar als auch für den Gestaltungsprozess fruchtbar zu machen.

Das Projekt verfolgt derzeit drei primäre Untersuchungslinien: 

  • Ein fotografischer Atlas heterogener Konstruktionen, der gebaute Beispiele aus einem breiten Spektrum historischer Epochen und globaler Kulturen zusammenführt mit dem Schwerpunkt auf antike, volkstümliche und frühindustrielle Architekturen
  • Eine Serie von analytischen Zeichnungen von beispielhaften Konstruktionen
  • Eine Serie von konstruierten, prototypischen Bauelementen, die heterogene Konstruktionsmethoden durch die Linse zeitgenössischer, handelsüblicher Baumaterialien betrachten und unter diesem Gesichtspunkt in etwas Neues übersetzen.

In diesem Beitrag wird diese Arbeit als Mittel zur Erforschung der Geschichte heterogener Bauweisen sowie der Implikationen dieser Methoden für die zeitgenössische Architektur und das Bauwesen vorgestellt. 

Darüber hinaus werden wir die Chancen und Herausforderungen erörtern, die mit dieser Art von Ansatz verbunden sind, eingeschlossen der Fragen zur Nachhaltigkeit, zur lokalen Materialbeschaffung und zur Auswirkungen auf Praxis, Technik und Regulierung. Auf der einfachsten Ebene bietet der Rückgriff auf lokale und gefundene Materialien in vielen Beispielen ein Modell für die Verwendung von wiedergewonnenen und wiederverwerteten Materialien. Wichtiger noch ist, dass das heterogene Bauen ein überzeugendes Beispiel für die sinnvolle Ergänzung von Materialien mit hohem und niedrigem Energieverbrauch sowie von Hightech- und Lowtech-Bautechniken im industriellen Bauwesen darstellt. 

Während heterogenes Bauen zwar viele Möglichkeiten in Bezug auf Nachhaltigkeit, kulturellen Wert und Ästhetik bietet, kann jedoch seine Anwendbarkeit durch Bedingungen wie strukturelle Mehrdeutigkeit eingeschränkt sein, welche sich aus den zusammengesetzten Bauteilgruppen ergeben und sich dadurch gängigen Methoden der Strukturmodellierung und -berechnung widersetzen. Strukturell nicht eindeutige Bauteile können zwar durch empirische Tests bewertet werden, jedoch ist dieser Prozess in der Regel sehr mühsam. Eine neue Kultur des heterogenen Bauens erfordert demnach möglicherweise eine parallele Reform der Bauvorschriften. 

Der Konflikt zwischen dem eindeutigen gesellschaftlichen Wert heterogener Konstruktionen und ihrer Nichtübereinstimmung mit idealistischen, ästhetischen und technischen Theorien erfordert ein Überdenken einiger Grundannahmen des zeitgenössischen Bauwesens. Wir stellen das heterogene Bauen als einen methodischen Rahmen vor, der zugleich zutiefst historisch und von kritischer zeitgenössischer Relevanz ist und der das Potenzial hat unsere Tendenz, das Bauen auf eine Reihe von geläufigen Systemen zu reduzieren, in Frage stellt. Das Heterogene könnte stattdessen vielmehr als ein Wissensschatz verstanden werden, der gelesen, hinterfragt und permanent in Überarbeitungen weiter zu entwickeln ist. 

Forrest Schneider Vobis Foto

© Aaron Forrest, Brett Schneider & Yasmin Vobis

Forrest Schneider Vobis Drawing

© Aaron Forrest, Brett Schneider & Yasmin Vobis

Aaron Forrest

Aaron Forrest (RA, NCARB) ist Architekt, Mitbegründer von Ultramoderne und außerordentlicher Professor für Architektur an der Rhode Island School of Design. Er erhielt sowohl seinen Bachelor- als auch seinen Master-Abschluss in Architektur von der Princeton University. Er verfügt über umfangreiche Berufserfahrung, die er in New York bei Bernheimer Architecture und Guy Nordenson and Associates Structural Engineers sowie in Madrid bei Ábalos & Herreros Arquitectos gesammelt hat. Sein Hintergrund prägt sein Interesse an der Beziehung zwischen Struktur, Tektonik und architektonischem Raum. 

Yasmin Vobis

Yasmin Vobis (RA, NCARB, FAAR) ist eingetragene Architektin, Mitbegründerin von Ultramoderne und Assistenzprofessorin für Architektur an der Harvard Graduate School of Design, wo sie Designstudios und Baukurse unterrichtet. Sie bringt in jedes Projekt ein ausgeprägtes Gespür für Organisation und Materialausdruck ein. Sie studierte Architektur an der University of California, Berkeley und der Princeton University, wo sie ihren Master in Architektur machte und mit dem Butler Traveling Fellowship und dem Suzanne Kolarik Underwood Prize ausgezeichent wurde. Vor der Gründung von Ultramoderne, arbeitete sie in verschiedenen Büros, u.a. bei Ogrydziak Prillinger Architects, Guy Nordenson and Associates Structural Engineers und Steven Holl Architects. Desweitern lehrte sie an der Princeton University, der Rhode Island School of Design, der Brown University und an der Cooper Union.