Do 15 Sep
10:50
David Jenny, ZHAW
Speculations towards a digital building culture
Indem wir digitale und analoge Prozesse nicht als Gegensatz verstehen, eröffnet uns das Digitale einen erweiterten konzeptionellen und konstruktiven Möglichkeitsraum in der Architektur. Dabei stehen nicht die Digitalisierung oder Automatisierung von analogen Planungs- und Herstellungsprozessen zum Zwecke einer reinen Effizienzsteigerung im Vordergrund, sondern vielmehr der sinnvolle Einsatz und die sinngemässe Integration digitaler Technologien als Beitrag zur Bewältigung lokaler und globaler Herausforderungen in der heutigen Berufspraxis [Jenny 2022]. Neben der Betrachtung im technologischen Kontext zeigt der vorliegende Beitrag auf, wie die Entwicklung neuartiger konstruktiver Systeme im Rahmen von Nachhaltigkeitsthemen wie der Wiederverwendbarkeit von Strukturen und der Ökologie von Materialien verstanden werden kann, während gleichzeitig deren Entwurfspotenziale erforscht werden. Dazu wird ein ausgewähltes konstruktives System vorgestellt und anhand einer umgesetzten Case Study dargelegt, wie konzeptionelle Entwurfsideen durch die Integration in eine digitale Prozesskette vom Entwurf bis zur Fertigung mit dem Materialverhalten und einer konstruktiven Logik verbunden werden können. Der Artikel endet mit einer Reflexion und Spekulation darüber, wie der vorgeschlagene Ansatz weiterentwickelt und in einer regulären, alltäglichen Baupraxis angewendet werden könnte.
Das konstruktive System Timber Dowel Assemblies ist inspiriert von Holzverbindungen der mitteleuropäischen und japanischen Zimmermannstradition [Zwerger 2016], verfolgt jedoch auf konzeptueller Ebene einen radikal digitalen Ansatz. Anstatt zu versuchen, einen handwerklichen Prozess durch eine maschinelle Fertigung zu ersetzen, wird ein neuer Verbindungstyp entwickelt, welcher das Potenzial einer digitalen Planung und roboterbasierten Fertigung in Verbindung mit den natürlichen Materialeigenschaften maximal nutzt. Dabei werden einfache Fichtenholzlatten räumlich positioniert und durch windschief eingebrachte Buchenholzdübel fixiert [Thoma et al., 2019]. Dieser räumliche Knoten als reine Holzverbindung ist einfach rückbaubar und macht das konstruktive System in Kombination mit den verwendeten kleinen Holzquerschnitten ökologisch sinnvoll. Da die hier beschriebene Verbindung weder durch einen rein handwerklichen noch durch einen rein maschinellen Prozess hergestellt werden kann, kann sie nur durch ein konzeptionelles Verständnis für das Potenzial der Kombination von menschlichem Handwerk mit digitaler Fertigung konzipiert werden, und zeigt als solches einen möglichen Ansatz zur Entwicklung neuer konstruktiver Ideen auf.
Der Entwurf des Knotens mit seinen geometrischen Abhängigkeiten spielt eine zentrale Rolle im konstruktiven System von Timber Dowel Assemblies, und die Art der Verbindung wird zu einem wichtigen Element, das den Entwurfsraum in Beziehung zu strukturellen und fertigungstechnischen Anforderungen definiert. Da es grundsätzlich unendlich viele mögliche Kombinationen von Dübel-Latten-Verbindungen gibt und jede Kombination ihre spezifischen Einschränkungen mit sich bringt, ist die die Optimierung der Verbindung ein komplexes Problem [Jenny et al. forthcoming]. Der Artikel beschreibt die Entwicklung verschiedener Verbindungs-Typologien und deren Umsetzung in Bauprojekten, welche gemeinsam mit Studierenden im Rahmen eines Nachdiplomstudienganges an der ETH Zürich (MAS ETH DFAB) realisiert wurden. Anschliessend folgt ein Ausblick, wie die hier vorgestellten Ideen im Rahmen der allgegenwärtigen digitalen Transformation von Bauprozessen eingeordnet werden können, und zeigt damit einen möglichen Zugang für die Entwicklung einer digitalen Baukultur auf.
List of References
Jenny, David. 2022. „Daten in Material giessen. Digital-analoge Konstruktionen.“ In Digitalisierung und Architektur in Lehre und Praxis, edited by Patric Furrer, Andreas Jud, Stefan Kurath, 87–96. Zürich: Triest.
Jenny, David, Mayer, Hannes, Aejmelaeus-Lindström, Petrus, Gramazio, Fabio, Kohler, Matthias. forthcoming. „A Pedagogy of Digital Materiality: Integrated Design and Robotic Fabrication Projects of the Master of Advanced Studies in Architecture and Digital Fabrication.“ In Architecture, Structures and Construction, ICSA2022 Special Issue.
MAS ETH DFAB. Master of Advanced Studies in Architecture and Digital Fabrication, ETH Zürich. → www.masdfab.com, last accessed 05.05.2022
Thoma, Andreas, Jenny, David, Helmreich, Matthias, Gandia, Augusto, Gramazio, Fabio, Kohler, Matthias. 2019. „Cooperative Robotic Fabrication of Timber Dowel Assemblies.“ In Research Culture in Architecture, edited by Comelie Leopold, Christopher Robeller, Ulrike Weber, 77–88. Basel: Birkhäuser.
Zwerger, Klaus. 2015. Das Holz und seine Verbindungen, Traditionelle Bautechniken in Europa, Japan und China. Basel: Birkhäuser.
David Jenny
David Jenny (*1987) ist Architekt und arbeitet in der Forschung am Zentrum Bautechnologie und Prozesse im Bereich Digitale Technologien in Entwurf und Fabrikation, an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er studierte Architektur an der EPF Lausanne, der University of Tokyo, und schloss mit dem MSc in Architektur an der ETH Zürich ab. Seine Diplomarbeit zum Thema algorithmische Entwurfsmethoden im Kontext des Wohnungsbaus wurde mit dem sia Masterpreis ausgezeichnet. Praxistätigkeit als Architekt in der Schweiz und Japan und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Future Cities Lab, Singapur. Von 2015 bis 2021 Lehrtätigkeit bei Gramazio Kohler Research an der ETH Zürich im Studiengang Architektur und seit 2016 im Nachdiplomstudiengang MAS Architektur und Digitale Fabrikation.