Fr 16 Sep

12:40

Anne Beim, KADK
Thorbjørn Petersen, KADK

Den Konflikt auflösen

Biogene Materialien wie Schilfrohr bergen ein großes Potenzial zur Verringerung der CO2-Emissionen beim Bauen. Die Verwendung von Schilfrohr ist jedoch zurückgegangen – zum Teil aus der Angst heraus vor einer Brandgefahr und wegen strenger Brandschutznormen.

Dieses Projekt zielt darauf ab, neue nachhaltige Lösungen im Bau mit reetgedeckten Gebäudefassaden zu entwickeln und zu testen, die umweltfreundlich und feuerbeständig sind – und welche auf ein industrielles Niveau skaliert werden können. Das Projekt befasst sich mit dem Brandschutz, da dieser eine der zentralen Herausforderungen bei Konstruktionen mit biogenen Materialien darstellt. Als Brandschutzmittel der reetgedeckten Gebäudefassaden wurden für die Oberflächenbehandlung verschiedene Tonmischungen in Kombination Tonplatten, in die Konstruktion miteingebaut, getestet. 

Die Forschungsfragen lauten:

  • Wie kann man Architektur erschaffen, die durch die Verwendung biogener Materialien im Bauwesen zum ökologischen Wandel beiträgt?
  • Wie kann man auf eine Art und Weise bauen, die das beste Wissen aus der traditionellen Baukultur bzw. aus dem traditionellen Handwerk mit modernen, effektiven Baumethoden kombiniert?

Das Projekt gliedert sich in drei Teile: 

  1. Kartierung des zentralen Wissens über historisches und modernes Bauen in Dänemark und Nordeuropa
  2. Entwicklung, Design und Prototyping von Reetdachkonstruktionen
  3. Vergleichende Brandtests von Konstruktionen

Das dänische Öko-Innovationsprogramm finanziert diese Forschungszusammenarbeit. Beteiligt sind die Königlich Dänische Akademie – Schule für Architektur (Leitung), das DBI – Dänisches Institut für Brand- und Sicherheitstechnik und die Danish Thatcher Association sowie die Lehmexperten von Egen Vinding & Datter. 

Die Brandprüfung ist ein zentrales Element des Projekts. So war es essentiell zu klären, wie sowohl die neue Konstruktionslösungen getestet und an welchen Standards sie gemessen werden sollten, als auch, ob der Brandschutz nur an der Oberfläche oder an der gesamten Struktur getestet werden sollte. Die Prüfmethoden wurden also parallel zur Konstruktion der neuen Brandschutzkonstruktionen mitentwickelt und festgelegt. 

Der Großversuch mit vertikal strohgedeckten Wandelementen, die von außen nach innen mit Moränenlehm imprägniert waren, zusammen und mit in die Konstruktion eingebauten Lehmplatten, zeigte beeindruckende Ergebnisse. Sie sind mit der Brandklasse 2 vergleichbar. Zweitens wurde gezeigt, dass handwerkliche Technologien als innovative Mittel für neue Bautypologien dienen können. Und schließlich, dass die multidisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Architekturforscher*innen, Brandexpert*innen und Handwerker*innen zu Ergebnissen führen kann, die neue, nachhaltige Strategien für eine konservative Bauindustrie bieten.

Eine Kombination aus Schilf und Lehm für Baukonstruktionen ist aus der Sicht der Nachhaltigkeit von Interesse, da beide Materialien vor Ort und ohne schwere Verarbeitung „produziert“ werden und neben Lehm auch Schilf zu 100 % erneuerbar ist. Konstruktionen wie diese bieten eine erhebliche CO2-Reduzierung, da nur wenige Ressourcen für die Produktion und den Transport erforderlich sind. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass die Bauindustrie im Jahr 2030 eine komplette CO2-Reduzierung erreicht.

Reetdachfassaden mit biologisch abbaubarem Feuerschutz(‑Lehm) wurden bisher weder in Dänemark noch international realisiert oder getestet. Daher bergen die Projektergebnisse ein relevantes Potenzial für weitere Innovationen im Bereich des nachhaltigen Bauens, und auch für die Entwicklung industrialisierter Prozesse und Produkte, die handwerkliches Wissen einbeziehen. Reetdachfassaden, die Lehm als Brandschutz integrieren und in einer Weise eingesetzt werden, die die tektonischen Ideen unterstreicht, sind realistische Alternativen zu herkömmlichen Baumaterialien wie Ziegel oder Beton. Sie stellen jedoch die heutigen Bauvorschriften in Frage, fordern diese heraus und bedingen radikale Veränderungen in der Bauindustrie.

Co-Autoren:
Henriette Ejstrup, Thorbjørn Lønstrup, Pelle Munch-Petersen.

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Anne Beim

Anne Beim ist Professorin für Architektur an der Royal Danish Academy School of Architecture. Sie trägt einen M.Arch. und einen Ph.D. in Architektur von der Royal Danish Academy School of Architecture. Seit 2004 ist sie Vorsitzende des CINARK – Center for Industrialized Architecture – eines Forschungszentrums, das an der Schnittstelle zwischen Architekturausbildung, Bauindustrie und dem Architekturberuf arbeitet. Seit 2014 ist sie Co-Vorsitzende des Graduiertenkollegs SET – Siedlung, Ökologie und Tektonik. Derzeit ist sie Mitglied des Executive Council der International Association of Structures and Architecture (ICSA).

Forschungsziel: wie architektonische Ideen in Konstruktionen umgesetzt werden, die durch die Baukultur (Handwerk & Industrie) geprägt sind und auf tektonischen Theorien basieren. Forschungsthemen sind: Die ökologische Dimension in der Architektur, wie architektonisches Know-how die Bauindustrie / Industrialisierung im Bauwesen beeinflussen und wie architektonische Qualitäten durch einen cleveren Einsatz von Materialien, Konstruktionsdesign und Detaillierung verbessert werden können?

Thorbjørn Petersen M.Arch.

Forschungsassistent an der Royal Danish Academy School of Architecture. Seit 2020 arbeitet er am Institut für Architektur & Technik im Spannungsfeld zwischen Technologie, ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Inklusion in der gebauten Umwelt.

Forschungsthemen: Ökologie in der Architektur, Tektonik, Materialkunde, bezahlbares Wohnen

Ausgewählte Projekte: Strohgedeckte Fassaden für ökologische Nachhaltigkeit (2021/2022), Volksversammlung auf Bornholm (2021/2022), Vision Workshop – Inklusion in der gebauten Umwelt (2022)